Disney und Dystopie − Rachel Maclean in Kiel

„Rachel Maclean ist in vielerlei Hinsicht die Künstlerin der Stunde“; verkündet Dr. Anette Hüsch, Direktorin der Kunsthalle zu Kiel. Die Multimedia Künstlerin wurde 1987 in Edinburgh geboren. Dort studierte sie Malerei und Zeichnung. Seit 2011 nimmt Rachel Maclean an Filmfestivals teil. 2017 repräsentierte sie ihr Land auf der Biennale in Venedig.

Aufmacher des sorgsam inszenierten Parcours ist der Brexit, eine zermürbende Saga, die mit dem Referendum vor knapp vier Jahren einsetzte. Zur Eröffnung dieser Ausstellung lag der EU-Austritt der Briten erst zwei Wochen zurück. Das Thema war also noch „heiß“; es beherrschte die Medien. Und so spiegelt es sich im Design: Riesige gemalte Union Jacks überziehen die haushohen Wände im Erdgeschoss. Teppichboden nimmt den Rotton der britischen Flagge auf, was Besuchern den Eindruck vermittelt, in einer Echokammer zu stehen. In dieses reißerische Ambiente platzierte Rachel Maclean ihre jüngsten Arbeiten.

Rachel Maclean bei der Pressekonferenz am 13. Februar 2020 in der Kunsthalle zu Kiel

Native Animals“ umfasst rund zwei Dutzend kreuz und quer über die Wände verteilte Tafelbilder und eine Video-Installation. Letztere wird über acht Flachmonitore im separaten Raum abgespielt. Eingefasst in weiße, manieristische Holzrahmen, hängen sie wie Ölgemälde an dessen Wänden. Auf ihnen agiert jeweils eine der Tierfiguren aus Rachel Macleans Brexit-Erzählung. Jede steht exemplarisch für eine gesellschaftliche Gruppe des sozial gespaltenen Königreichs. Gemeinsam lauschen sie der Nationalhymne. Plötzlich unterbricht der Brexiteer sein unflätiges Rülpsen und Grunzen, um ins Gelächter zu fallen. Welche der Charaktere sich ihm anschließen und welche nicht, wer über wen lacht, darauf kommt es in dieser Groteske an.

Alle Rollen in ihren Videos spielt die Künstlerin selbst. Sie entwirft deren opulente Kostüme und Masken, filmt per Greenscreen Verfahren und malt sich den Rest digital aus. Die oben erwähnten Tafelbilder sind professionelle Prints und ebenfalls Ergebnis dieses Prozesses. Fotos, Filmstills und 3D Modelle flossen als Vorlagen in deren Gestaltung ein. Digitales Malen nutzt hochkomplexe Grafiksoftware. Es imitiert traditionelle Mal- und Zeichentechniken und gilt als aufstrebende Kunstform, findet aber meist nur in Filmen oder Computerspielen Anwendung. In Kiel erhält Digitale Malerei museale Anerkennung. Rachel Macleans „Native Animals“ gehen als Schenkung in die Sammlung ein.

Zur Arbeitsweise der Schottin passt die Technologie der Virtual Reality. „Den wirklichen Raum täuschen echt zu erweitern“, holt Dr. Hüsch beim Erreichen der Installation aus, sei Teil einer langen Tradition in der Kunstgeschichte. Deren Anfänge lägen in Ausmalungen antiker Villen, erläutert sie, während wir uns die VR-Brillen aufsetzen, um einzutauchen in eine Szenerie aus britischen Pound-Shop Souvenirs. In „I´m terribly sorry“ (2018) herrscht Untergangsstimmung. Der dreidimensionale Kunstraum ist bevölkert mit Figuren, auf deren Hals ein Smartphone sitzt. Im Näherkommen hören wir ihre Sprachnachrichten. Sie sind durchtränkt von sozialen Spannungen der Brexit-Ära.

Raum mit zwei VR-Brillen zur Einzelbetrachtung von Rachel Macleans
Installation „I’m terribly sorry“ von 2018

Babyrosa Wände und hellblauer Teppichboden markieren den Schwerpunktwechsel innerhalb der Ausstellung. Er liegt hier auf „Cuteness“, ein weltweit populäres Ästhetikkonzept. Es betont Unschuld und Kindlichkeit. In digital verfremdeten Selbstbildnissen nimmt Rachel Maclean die Sehnsucht nach ewiger Jugend auf. Ihre vierteilige Printserie „Mending a face“ hat den Charme von Leuchtreklamen an Bushaltestellen. In ihr seziert sie das Thema Schönheitsoperation.

Niedlicher wird es in zwei Kabinetten. Dort laufen Videos, darunter „Feed Me“ eine 60-minütige Arbeit aus 2015 über den Zusammenhang zwischen Kommerzialisierung und Sexualisierung von Kindheit. Auch „Germs“ kündet von unheilvollen Versprechen in Zeiten des Neokapitalismus. Und „Eyes 2 me“ zeigt die Brutalität einer Filmwelt, in der Männer bis heute das Sagen haben. Bei Vimeo registrierte Mitglieder können alle diese Arbeiten streamen. Die Links zu Trailern sowie auch alle hier erwähnten Prints findet man auf Rachel Macleans Webseite und in ihrem Instagram Account.

Zu den noch jungen Erkenntnissen der Cute Studies zählt das Phänomen der „Cute Agression“. In „Too Cute“ verkörpert Rachel Maclean eine Dozentin. Während sie über das Niedliche spricht, wird sie von Gefühlen übermannt und köpft ein Kuscheltier. Neurowissenschaftler fanden heraus, erklärt Joshua Paul Dale in seinem Katalogbeitrag, dass Niedliches dazu diene, Geselligkeit und Wohlbefinden zu befördern. Sei jedoch etwas zu süß, so der Begründer der Cute Studies, entzögen wir uns dem durch gezielte Aggression. Die mache uns wieder handlungsfähig. In der narrativen Tradition unserer Märchen herrscht daher zwischen Grausamkeit und Glück stets ein Spannungszustand. Den braucht die Fantasiewelt des digitalen Raumes nicht. Wen könnten wir verletzen? Außer uns selbst.

  • Katalog: Hatje Cantz Verlag, Berlin. 184 Seiten.
  • Die Schau mit Werken von Rachel Maclean läuft bis 6. September 2020

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panama

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens bis hoch nach Tromsö. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 35 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews.