Europa machen – Die drei blauen Hüte von Lisa Kühn

„Ohne Policy Lab wäre ich wohl nicht hier“, überlegt Lisa Kühn. Wir sitzen im Besprechungsraum der Europa-Union Schleswig-Holstein (EUSH) am Faluner Weg in Kiel-Mettenhof. 2019 ist bei uns das Jahr der politischen Bildung an Schulen und der 26. Mai Tag der Europa-Wahl. Beides Anlässe, um in der Geschäftsstelle dieser feinmaschig vernetzten Bürgerbewegung nachzufragen, wie das geht: Europa machen! Denn das ist ihr Motto.

Erstellt Anfang März im Auftrag der Redaktion „woman in the city“,  Verlag magz medien, Laboe. Abgedruckt in der Frühjahrsausgabe 2019. 

Die EU will reformiert werden. Der Brexit zeigt, dass soziale Themen stärker in den Fokus rücken müssten in Brüssel. Es braucht Regeln, neue Gesetze. Die entstehen im Konsens zwischen dem Ministerrat und den Abgeordneten des demokratisch gewählten Europa-Parlaments. Dafür braucht es starke Fraktionen. Die CDU gehört der EVP an, die SPD zur S&D. Das sind die beiden größten politischen Blöcke im Parlament. Aktuell stellt Schleswig-Holstein dort drei Abgeordnete: Je einen aus CDU und SPD sowie ein Ex-AfD-Mitglied, heute parteilos.

Lisa Kühn hat es bei der SPD nach gut zwei Jahren Mitgliedschaft bereits auf Listenplatz 59 für die Europawahl geschafft. Da ist sie chancenlos. Aber sie sammelt Erfahrung. Seit bald drei Jahren arbeitet sie als Landesgeschäftsführerin für die Europa-Union. Das ist Deutschlands größte überparteiliche Bürgerinitiative für Europa. Allein bei uns im Norden gehören ihr 1.400 Mitglieder in 21 Kreis- und Ortsverbänden an – darunter Altenholz, die Kreise Kiel und Plön. „Ich hatte mir den Fuß gebrochen. Und so fiel mein erster Arbeitstag auf den 9. Mai, den Europa-Tag“, erinnert sie lächelnd, „eine symbolhafte Fügung. Seither habe ich drei Hüte auf.“

Historisch gewachsene Doppelfunktion

Parallel führt Lisa Kühn auch die Geschäfte der Europäischen Bewegung Schleswig-Holstein (EBSH), einem Netzwerk von Vereinen und Verbänden aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ihre Doppelfunktion ist historisch gewachsen. „Nach Kriegsende 1946 wurde die EUSH gegründet“, erklärt sie, „1978 dann die EBSH als deren Dachverband. Wobei die Europa-Union aufgrund ihrer Mitgliederzahl der größere Verband ist. Die jeweiligen Akteure waren stets sehr eng miteinander verknüpft, so dass die gemeinsame Geschäftsführung formell vereinbart wurde. Dieses Konstrukt gibt es in Deutschland bloß noch ein Mal.“ Zudem leitet Lisa Kühn das Europe Direct Zentrum Kiel. Das ist die Informationsstelle der Europäischen Kommission, eine Art Schaufenster der EU. 49 davon gibt es in Deutschland, davon zwei bei uns im Land: diese in Kiel und eine in Sankelmark an der Europäischen Akademie.

Politische Bildung im Fokus

Finanziert wird die Geschäftsstelle zum einen durch Mitgliedsbeiträge. Das Minimum beträgt 3,60 Euro im Monat, ermäßigt 1,80 Euro. Den Löwenanteil aber steuert das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung in Form von institutioneller Förderung bei. „Diese Mittel erhalten wir für unsere Europapolitische Bildungsarbeit“, berichtet Lisa Kühn. „Hierfür arbeiten wir eng mit dem Ministerium zusammen. Das ist schon sehr lange der Fall. Ohne das Geld könnten wir nicht zwei Vollzeitstellen unterhalten. Dafür gehen wir sehr viel an Schulen und bilden Multiplikatoren fort. Zum Beispiel führen wir in Zusammenarbeit mit dem IQSH jeweils im Frühjahr und Herbst einen dreitägigen Kurs im Harz durch. Der nennt sich „Europa-Kompetenz“. Zielgruppe sind Lehrkräfte, aber nicht nur WiPo-Lehrerinnen und Lehrer sondern auch welche, die Mathe oder Chemie unterrichten. Nach Abschluss des Kurses führen sie ein Projekt an ihrer Schule durch. Dafür erhalten sie ein Zertifikat“.

Das klingt nach viel Verantwortung. Bereits als Studentin engagierte sich Lisa Kühn bei den jeweiligen Fachschaften. In Bremen war sie Mitglied der Hochschulgruppe der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Zum Masterstudium wechselte sie an die Leuphana Universität Lüneburg. Dort leitete sie ab 2014 die von ihr mitgegründete studentische Initiative „Policy Lab“. Es sei ihr „Baby“ gewesen, bekennt sie, nun laufe es. Im kleinen Rahmen konnte sie dort lernen, Vereinsstrukturen zu errichten und zu managen. All das kam ihr 2016 zugute bei der Bewerbung für Kiel. „Damals steckte ich tief in meiner Masterarbeit. Mein Vater machte mich auf die Stellenausschreibung aufmerksam. Der arbeitet auch im Europa-Bereich.“

Europa der Regionen

Für den Abschluss ihres Studiums in Staatswissenschaften schrieb Lisa Kühn über Asylpolitik. Wo zieht sie die Grenze, wollten wir erfahren, woraus besteht Europa? „Mein Verständnis geht über die Gemeinschaft der 28 bald 27 Staaten hinaus. Ich mache das geographisch fest“, antwortet sie und fährt fort: „Die Westbalkanstaaten, die Ukraine, Norwegen gehören für mich dazu. Unsere Nationalstaaten, damit habe ich mich im Studium sehr viel beschäftigt, sind relativ junge Konstrukte. Deshalb finde ich es sehr seltsam, wenn Leute Mauern hochziehen. Es ist doch eigentlich purer Zufall, wo man geboren wird. Ich komme aus Niedersachsen. Als ich hierher zog, machte ich die Erfahrung, dass Schleswig-Holstein eine Welt für sich ist. Die Zusammenarbeit im Ostseeraum ist den Leuten hier sehr wichtig. Er stellt etwas Verbindendes dar. Da kommt sogar Kaliningrad ins Spiel. Die Russen sind zwar nicht in der EU, ebenso wie die Norweger, aber die sind trotzdem dabei, das ist eine europäische Region. Europa der Regionen ist sowieso ein sehr viel spannenderes Konzept als das nationalstaatliche“.

Direkte Bürgerbeteiligung

ERASMUS, Natura 2000, die A7 als Teil der Europastraße E45 von Alta bis Gela, in Kiel entsteht mit einem Darlehen der EU das modernste Gaskraftwerk Europas – wenige Beispiele reichen aus, um zu zeigen wie tief Brüsseler Entscheidungen in unseren Alltag wirken. Per Wahlzettel beteiligen wir uns. Aber: Geht es auch direkter? „Wer ein konkretes Anliegen hat, darf sich damit gern an unseren Verband wenden, lädt Lisa Kühn ein. „Es wird ein Antrag gestellt, der durchläuft die Gremien – vom Orts- zum Landesverband. Dazu planen wir Aktionen, gehen damit an die Presse und nach Berlin, zu unserem Bundesverband, der eine größere Reichweite hat. So lief es angesichts der Brände in Schweden mit unserer Idee einer europäischen Feuerwehr-Einsatztruppe. Ob allerdings unsere Ortsgruppe in Schwarzenbek für die Abschaffung der Roaming Gebühren gesorgt hat, wie es erzählt wird, weiß ich nicht. Mitgewirkt hat sie daran auf jeden Fall“. Überdies bieten aktuell Online-Konsultationen die Gelegenheit zur direkten Beteiligung. Am erfolgreichsten war bisher die zur Abschaffung der Zeitumstellung. Bis zum Europa-Tag am 9. Mai bleibt das Portal „Ihre Stimme in Europa“ geöffnet.

Kontakt

Europa-Union Schleswig-Holstein
Faluner Weg 28, 24109 Kiel
Tel. 0431 933 33

Termine

4.-12. Mai 2019 Europawoche
Aktionen von Kreis- und Landesverband
sowie Mitgliedsverbänden des EBSH

Alle Informationen hierzu über Social Media
Instagram: europa_bewegen
facebook: Europa-Union
Oder auf der Homepage
 
www.europa-union-sh.de 

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panama

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens bis hoch nach Tromsö. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 35 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews.